Donnerstag, 2. Mai 2013

Vom Wert der Arbeit oder: Wer arbeitet, sündigt

Arbeit hat in unsere Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Wer täglich von A nach B und dann nach C, bis zum Ende des Alphabets hetzt, dem wirft man bewundernde Blicke zu. Ja, dieser Jemand TUT etwas, er LEISTET, er opfert sich auf für die Gesellschaft, seine Familie, ein wenig Wohlstand...

Aber was hat er davon? Mitte 40, wenn er Glück (oder Pech) hat etwas später, kommt der Herzinfarkt, wenn man nicht vorher schon mit Panikattacken, Depressionen oder Burnout ins Abseits geschoben wird. Hauptsache man hat gut funktioniert, als kleines Rädchen im großen Getriebe einer rießigen Maschinerie im Dienste des ewigen Wirtschaftswachstums und des Konsums einer Wegwerfgesellschaft. Eine Gesellschaft, die nicht nur Waren zu Tonnen auf den Müll kippt, sondern mit Ihnen auch Menschen, die nicht mehr "funktionieren", weil Sie zu alt, zu krank oder sonstwas sind.

Ich will jetzt nicht behaupten, dass alle Arbeit schlecht und verdammungswürdig ist. Sicher freue ich mich, wenn das Wasser aus dem Hahn kommt, die Müllabfuhr den Mist wegbringt, oder die Regale nachgeschlichtet sind, wenn ich etwas einkaufen möchte. Das sind einfache und grundsätzliche Dinge, die jeder von uns täglich braucht.

Doch wieviel "gute" Arbeit gibt es heute überhaupt noch? Damit meine ich Arbeit, die mehr nützt als schadet? Dazu fand ich einen interessanten Artikel über ihr Buch von Marianne Gronemeyer:

Nun heißt aber der Titel dieses Buches nicht: „Wer arbeitet, sündigt nicht“, sondern im Gegenteil: „Wer arbeitet, sündigt“. Das ist allerdings eine Behauptung von anderem Kaliber. Die schiere Provokation. Es sträubt sich doch wirklich alles in uns gegen die skandalöse Feststellung, dass Arbeit grundsätzlich schädlich sein soll. Man kann seine Arbeit gut oder schlecht machen, man kann es an Sorgfalt, Genauigkeit, Ausdauer und Kenntnis fehlen lassen, man kann nachlässig, schlampig oder ungeschickt sein, aber das alles rechtfertigt noch nicht die Behauptung, dass es gute Arbeit prinzipiell nicht gibt. Es sagt lediglich, dass jemand sich entweder weigert oder unfähig ist, sie zu tun. Der Titel ist jedoch keineswegs als Provokation, sondern ernst gemeint. Ich will tatsächlich nachweisen, dass uns die Möglichkeit, gute Arbeit zu verrichten, abhandengekommen ist.

Aber kann man denn, wie ich das vorhabe, wirklich beides gleichzeitig, den Totengesang auf die ‚gute Arbeit‘ anstimmen und ein – sogar leidenschaftliches – Plädoyer für sie halten wollen? Für etwas, das es nicht gibt – oder nicht mehr gibt – kann man schlecht plädieren, ohne Unsinn zu reden. Also ist die gute Arbeit doch nicht ganz verschwunden? Zugegeben, die Eingangsbehauptung, muss präzisiert werden: Es gibt sie noch, die gute Arbeit, aber nicht auf dem Markt. Alle Arbeit, die heute auf dem Arbeitsmarkt gehandelt wird, schadet mehr, als dass sie nützt. Und wer sich glücklich schätzt, auf dem Markt einen Job ergattert zu haben, nimmt in Kauf, dass er damit Schaden anrichtet.

Die Präzisierung macht die Sache kaum besser. Das würde ja bedeuten, dass es egal ist, ob ich in meinem Job Sahnetrüffel oder Tellerminen produziere, dass sich die ehrwürdigen Professionen des Heilens, Helfens und Lehrens in dem, was sie anrichten, nicht unterscheiden von denen der Rüstungsarbeiter, Henker und Banker. – Sie unterscheiden sich schon. Sie bewirken sehr Verschiedenes; aber eben auch nichts Gutes.
Man kann doch aber nicht einfach darüber hinwegsehen, dass in der Arbeitswelt kaum jemals so viel Aufwand getrieben wurde, um gute Arbeit zu garantieren, wie heutzutage. Verfahren der Qualitätssicherung, der Effizienzkontrolle, der Evaluation, der Dokumentation beschäftigen Heerscharen von Experten, die beauftragt sind, die Professionalität der Arbeit und der Arbeitenden ständig zu verbessern. Professionalität ist zum wichtigsten Merkmal guter Arbeit aufgerückt. Wer professionell ist, beherrscht sein Metier technisch perfekt, er – oder sie – weiß, was richtig, wichtig und vordringlich ist, er ist leistungswillig, zeigt Entschlusskraft, verfügt über eine routinierte Könnerschaft und eine kühl kalkulierende ‚Leidenschaft‘ für alles Verfahrensförmige und Methodische, er/sie weiß, die störende Subjektivität persönlicher Meinungen, Empfindungen und Rücksichten aus dem Spiel zu lassen sowie Privates und Berufliches strikt zu trennen. Jemandem Unprofessionalität vorzuwerfen, ist die ärgste Schmähung, die man ihm antun kann, weit ärger, als ihm Unmoralität nachzusagen.

Der Begriff, der für all das herhalten muss, wurde gründlich missverstanden oder misshandelt. Denn das lateinische Verb ‚profiteri‘, von dem unsere ‚Professionalität‘ ebenso wie die ‚Professoralität‘ abstammt, heißt „bekennen, gestehen“. Demnach wäre ein Professor ein Bekenner und Professionalität bestünde nicht zuletzt darin, dass man Schwächen und Fehler eingesteht, sich also eine Blöße gibt, was ja die Voraussetzung dafür ist, dass falsche Entscheidungen und Taten revoziert und revidiert werden können. Auf so schwankendem Boden bewegen sich moderne Professionelle nicht. Sie sind sich ihrer Sache und ihres methodischen Instrumentariums sicher und wissen sich im Recht. Nicht zuletzt deshalb ist die heute gepflegte Professionalität außerstande, gute Arbeit zu ermöglichen. Sie dient vielmehr dazu, Schlechtes immer besser zu machen und Falsches zu perfektionieren.

Was sind aber die Befunde, die ein solch schwerwiegendes Verdikt über unsere professionelle Arbeit rechtfertigen könnten? Zuallererst: Die moderne Arbeitswelt erzeugt immer mehr drop outs und gesellschaftlich Deklassierte. Alle menschlichen Belange sind zusehends unter das Diktat der Ökonomie und des Profitkalküls geraten. Alles, was sich nicht lohnt, wird ausgemustert und alle, die nichts leisten, werden für überzählig erklärt. Schonräume und Nischen, in denen die, die nicht mithalten können, die Gescheiterten und die Schwachen, vom Leistungsdruck einigermaßen unbehelligt, ein auskömmliches Dasein fristen könnten, ohne sich als gerade noch geduldet zu erfahren, werden abgeräumt. Die Arbeitswelt wird immer mehr zum Kriegsschauplatz, auf dem sich Selbstbehauptungskämpfer immer härtere Schlachten liefern. Ein Klima, in dem gute Arbeit wahrlich nicht gedeihen kann, wie viel Mühe sich die darin Agierenden auch geben mögen.

Ein zweiter Befund ist beinah noch beunruhigender: Im Zuge der Ökonomisierung aller Lebensbereiche hat sich eine „Monokultur des Effizienzdenkens“ ausgebreitet. Darin werden alle persönlichen Beziehungen, alle Eigenheiten und Besonderheiten der in den Arbeitsprozess Involvierten als Störung wahrgenommen und ausgeschaltet. Ideal ist ein Arbeitsprozess, der wie am Schnürchen läuft, verfahrensförmig, programmierbar, vorhersehbar, durchorganisiert. Selbst in den Schulen und an den Universitäten, in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in Sozialstationen und Kirchen hat sich dieses Ideal der reibungslosen, überraschungsfreien Abläufe durchgesetzt, und längst beherrscht es auch die so genannte Freizeit. Diese monokulturelle Verwüstung zehrt alles persönliche Miteinander sowie alle Fürsorge füreinander auf und hat eine unvorstellbare Gleichmacherei zur Voraussetzung und zur Folge. Gebraucht wird der „funktionale Mensch. Die Ausprägungen und Organisationen der modernen Daseinsstruktur, innerhalb deren das Leben des funktionalen Menschen abläuft wie der Kolben in einem gut isolierten Glaszylinder. […] Die Wirklichkeit des funktionalen Menschen ist eine Pseudowirklichkeit, ein das Leben ersetzendes Leben, eine ihn selbst ersetzende Funktion.“ Verfahrensförmigkeit ist die Zauberformel mit deren Hilfe Effizienz – der größtmögliche Ertrag bei geringstmöglichem Einsatz von Mitteln in kürzest möglicher Zeit – in schwindelnde Höhen getrieben wird. Sie ist das probateste Mittel der gewinnträchtigen Beschleunigung aller Prozeduren – und der gerade Weg in die Barbarei. Wer oder was dabei alles auf der Strecke bleibt, wird aus den Gewinnkalkulationen herausgerechnet oder zum ‚Kollateralschaden‘ erklärt.

Es gibt einen dritten Befund: Professionelle Arbeit produziert Waren – auch Dienstleistungen sind ja Waren. Waren ersetzen menschliche Tätigkeiten. Um immer mehr Waren an den Mann, die Frau und das Kind zu bringen, wie es das Wachstumsgebot verlangt, werden den Menschen immer mehr Tätigkeiten und Zuständigkeiten abtrainiert. Tätige und zum Selbsterhalt fähige Menschen werden umgekrempelt zu hilflosen, abhängigen und entmündigten Konsumenten. Arbeit dient nicht der Herstellung dessen, was gebraucht wird, sondern produziert zunehmend, was nicht gebraucht wird, um diese Abhängigkeit aufrecht zu erhalten und zu steigern. Es ist nicht so, dass die Arbeit den Konsum veredelt, sondern so, dass der Konsum die Arbeit entwertet. Auf doppelte Weise werden die Arbeitenden durch ihre Arbeit depotenziert: Während der Arbeit fungieren sie nur mehr als Verfahrensanhängsel. Und als Konsumenten werden sie von ihren Tunsmöglichkeiten und ihrer Zuständigkeit für ihre eigenen Angelegenheiten abgeschnitten.

Gute Arbeit, Arbeit, die nützt und nicht schadet, kann nicht zustande kommen, wenn Menschen statt zu kooperieren konkurrieren müssen; wenn ihr persönliches Handeln ausgeschaltet wird und sie einen ihnen zugewiesenen Platz in einer Maschinerie nur noch auszufüllen haben; wenn ihnen durch ihre Arbeitsproduktivität immer mehr Konsum aufgenötigt wird, der sie abhängig und unzuständig macht, und wenn ihre Arbeit vorrangig im Dienst der Profitsteigerung von Konzernen steht.

Dass es gute Arbeit diesen erdrückenden Befunden zum Trotz geben könnte, scheint aussichtslos. An eine Humanisierung der Arbeitswelt kann man, ohne sich selbst etwas in die Tasche zu lügen, kaum glauben. Zu fragen wäre vielmehr, ob man aus ihr ausscheren, ob man sich ihren Forderungen zeit- oder teilweise entziehen und durch anderweitige Tätigkeit seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte; ob es also ein Abseits der Arbeitswelt gibt oder geben könnte, wohin ihre Herrschaft nicht reicht und wo ihre Erpressungsmechanismen nicht greifen. Es sind ja längst viele, die sich aus der Arbeitswelt davonmachen, entweder, weil sie rausgeschmissen oder weil sie krank werden oder weil sie zu alt sind. Einer Meldung in den Abendnachrichten vom 28. September 2011 zufolge sind es in Deutschland bereits mehr als neun Millionen Menschen, die den Arbeitsanforderungen nicht mehr gewachsen sind. Ihre Diagnose lautet in der Regel ‚Burn out‘, ‚Ausgebrannt‘.
Denn es ist allemal einfacher, die Menschen für krank zu erklären als die Arbeitsverhältnisse.
Aber sind nicht diejenigen die unter krankmachenden Zumutungen schlapp machen, ‚gesünder‘ als die, die immer noch mithalten? Diejenigen, die die Arbeitswelt ausgespien hat, könnten eine große Koalition der Nicht-Erpressbaren bilden und von ihren verbliebenen Kräften einen Gebrauch machen, der sie vom Geldbedarf unabhängiger machen und als tätige Menschen ins Recht setzen würde, statt dass sie sich als Konsumenten an der Leine führen lassen. Kurzum: die Frage ist, ob es auch in industriellen und urbanisierten Gesellschaften Möglichkeiten einer neuen Subsistenz gibt, die die Menschen weniger bedürftig und fähiger macht, für sich und andere selbst zu sorgen. (Text: M. Gronemeyer)
gefunden auf http://www.kritisches-netzwerk.de/forum/wer-arbeitet-suendigt-ein-plaedoyer-fuer-gute-arbeit-marianne-gronemeyer

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